Und so entstand der IWF ...
ZEIT: ... der zum Instrument der internationalen Koordination wurde.
CHOMSKY: Stimmt. Und der feste Wechselkurse und Kapitalverkehrskontrollen vorsah. Seine Schöpfer White
und Keynes begründeten das so: Ohne Kontrolee des Kapitals sei Demokratie nicht möglich. Kein Land könne
dann eine Wirtschaftspolitik verfolgen, die den Interessen der Investoren widerspreche.
ZEIT: Viele Ökonomen würden dazu heute sagen: Na, das wäre doch wunderbar, dann müssen
die Regierungen schließlich eine marktfreundliche Politik machen.
CHOMSKY: Lassen Sie die Ökonomen reden. Mögen sie die Demokratie hassen, Bretton Woods jedenfalls
sollte sie fördern. Er wollte die Souveränität der Völker schützen, wirtschaftspolitische
Planung ermöglichen und durch feste Wechselkurse die Spekulation verhindern. Dieses System brach jedoch in
den siebziger Jahren zusammen. Die Wechselkurse wurden flexibel, Kapitalverkehrskontrollen aufgegeben, und die
so genannte Globalisierung begann. Seither wächst der kurzfristige Kapitalverkehr, und das ist extrem schädlich.
Seit Beginn der Liberalisierung haben sich die meisten Wirtschaftsdaten verschlechtert: In den Industrieländern
ist das Wirtschaftswachstum um die Hälfte gesunken. Und in den Entwicklungsländern ist die Situation
schlechter als in den siebziger Jahren.
ZEIT: Dennoch gilt das Land, das beim IWF am meisten auf den freien Verkehr von Kapital drängt, heute
als das Modell für viele andere Volkswirtschaften. Die USA können Wirtschaftsdaten vorweisen, bei denen
andere nur staunen.
CHOMSKY: Die USA sind in Wahrheit ein Desaster. Nehmen Sie nur das Wirtschaftswachstum. Es macht nur Sinn,
wenn sie es pro Kopf umrechnen - und dann ist es aufgrund des Bevölkerungswachstums seit den siebziger Jahren
in Wirklichkeit kaum größer geworden. Außerdem wachsen die Löhne und Gehälter nicht
mit. Die Arbeitszeiten sind hingegen immer länger geworden, sie sind heute länger als in jedem anderen
Industrieland. Zudem ist der Reichtum ungleicher verteilt denn je.
ZEIT: Wie erklären Sie denn dann, dass alle Welt trotzdem an das Modell Amerika glaubt - und per IWF
die weltweite Verbreitung fördert?
CHOMSKY: Es ist ein Modell für die Privilegierten und Reichen; die wollen es. Gestern hatte ich zum
Beispiel Studenten aus Ghana zu Besuch. Die haben ganz gut verstanden, warum sie hier zu Universität gehen.
Sie sollen amerikanische Ideen aufsaugen und ihr Land dann entsprechend lenken. Damit werden sie dann automatisch
zur Elite gehören - selbst wenn dort auf dem Land die Armut zunimmt. Ähnlich hat das Großbritannien
mit der indischen Elite Jahrzehnte lang gemacht. Und wie ist es denn in Deutschland: Für die gut ausgebildeten
Eliten ist das amerikanische Modell dort doch wunderbar. Für mich übrigens auch, ich habe bestimmt, in
den vergangen zwei Jahrzehnten ordentlich gewonnen.
ZEIT: In den USA sind nicht nur die Reichen, sondern die meisten Bürger ganz zufrieden mit dem Status
quo.
CHOMSKY: Sind sie es? Warum dann die Demonstrationen?
ZEIT: Das sind ein paar zehntausend.
CHOMSKY: Die anderen arbeiten ja auch so hart, dass sie bestenfalls jammern können. Viele haben geringere
Erwatungen als früher. Sie beantworten die Frage, ob es ihren Kindern besser gehen wird, nicht mehr automatisch
mit ja. Und dann müssen Sie auch die enorme Propaganda berücksichtigen. Von klein auf sagt und die Werbung
wie wir sein müssen und dass unser größter Wunsch en Paar Turnschuhe sei.
ZEIT: Wenn ich Sie zitieren darf, Sie sagen gerne: "Die USA sind das freieste Land der Welt."
Das bedeutet doch auch, dass gerade hier jeder alles wissen und sagen darf. Ist da nich das Argument, die Propagand
verblöde das Volk, ziemlich kurz gegriffen?
CHOMSKY: Natürlich kann jeder Information bekommen. So wie jeder Ökonom eigentlich herausfinden
kann, warum es der Dritten Welt so schlecht und der Ersten so gut geht. Aber die meisten Leute haben nicht gelernt,
wie. Nach ihrem langen Arbeitstag bleibt Ihnen gerade noch die Energie, sich vor den Fernseher zu setzen oder in
die Bar zu gehen.
ZEIT: Wo kommen dann die Demonstranten diese Woche her?
CHOMSKY: Ein paar soziale Institutionen haben auch in den USA überlebt, allen voran die Kirchen. Da
gibt es zwar viel radikalen Fundamentalismus und Ignoranz, aber auch viele Aktivisten - wie beispielsweise die
Solidaritätsbe- |
|